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Jan 26

Telekolleg statt Titten

„Wenn etwas online kostenlos ist, bist du nicht der Konsument – du bist das Produkt“

 

Ein kritischer und kluger Satz, der sich bei genauerer Betrachtung aber allzu oft als zu oberflächlich entpuppt. Wirklich kostenlos Inhalte im Internet nur in wenigen Ausnahmefällen. Wagen wir einen Blick auf die Situation auch wenn das Thema kaum allumfassend in einem kurzen Artikel zu erfassen ist.

 

Eins der plakativsten Beispiele dürfte Youtube sein. Jedem ist klar, die Server des Mutterkonzerns Google müssen finanziert werden. Da der Service für den Nutzer unentgeltlich angeboten wird, muss das Geld an anderer Stelle verdient werden. In unseren Köpfen ist dieser Service erst einmal kostenlos.

 

In Wahrheit findet zwischen Nutzer und Google aber ein Austausch statt. Der Nutzer bekommt eine Dienstleistung von Google gratis und Google erhält Eure Aufmerksamkeit für Werbeanzeigen. Somit ist der Nutzer kein Produkt, er ist Geschäftspartner, man sagt es ihm nur nicht. Diese Geschäftsbeziehung hat leider auch Schattenseiten abgesehen von den offensichtlichen wie etwa Werbeeinblendungen.

 

Kennt ihr den Energydrink „E:NG“? Nein? Gut, das liegt daran, dass ich ihn für meinen Artikel erfunden habe. Und natürlich daran, dass er keine Werbung macht. Ändern wir das! Der Hersteller von E:NG möchte also Werbung schalten. (In den wenigsten Fällen wird er persönlich an Google herantreten und Werbeplätze einkaufen, das machen Media-Agenturen.) Er kauft bei Google Impressions (Aufrufe eines Werbemittels) und Klicks für bunte Werbeeinblendungen. Leider ist es unserem Getränkehersteller E:NG meist völlig egal wie seine gebuchten Klicks und Views zustande kommen. Solange die Werbebotschaft bei der gewünschten Zielgruppe ankommt. Bis jetzt keine Schattenseiten erkennbar oder?

 

 

Leider wirkt sich dieser Prozess mittelbar auf die produzierten Inhalte aus. Denn Youtube schaltet Werbung, wer hätte es gedacht, gerne in viel geschauten Videos. Versetzen wir uns nun in jemanden der mit Youtube-Inhalten Geld verdienen möchte. Er lebt von dem Teil der Werbeeinnahmen den Youtube an seine „Autoren“ weitergibt. Das Netzwerk hält sich in Hinsicht auf Zahlen zwar gern bedeckt (zumindest wenn es die eigenen sind), doch bewegt sich der Satz in etwa zwischen 1 und 2 € pro 1000 Views abhängig von der Bekanntheit des Channels. Um also monatlich auf 1000 Euro Bruttolohn zu gelangen, müssen somit mindestens 500.000 Views erzielt werden. Das ist gar nicht mal so einfach.

 

Leider ist die Erfolgsformel recht banal. Fun, Sex und Brutalität sind fast schon ein Garant für Klicks. Mit einem entsprechenden Thumbnail-Bild und Überschriften wie „Top 10 Hottest Girls in Gaming“ lässt sich verhältnismäßig schnell Geld machen. Die Zielgruppe ist groß, das Material schnell zusammengesucht und der kurze Clip ist schnell geschnitten. Selbst an diesem Punkt ist noch Platz nach oben, warum nicht „Top 10 Hottest Girls in Gaming (Part 1)“. Angeblich sind solche Inhalte seitens Youtubes natürlich nicht unbedingt „advertiser-friendly“. Die Zugriffszahlen der Zielgruppe lassen zweifeln:

 

 

Und so zweifelt auch der Getränkehersteller ob seine Werbung nicht doch vielleicht in „advertiser-UNfriendly“ Videos richtig platziert wäre. Und auch Youtube kommt ins Wanken. Dauert es doch viel länger die gebuchten und zugesagten Views für Kunden zu erreichen, wenn jene Videos nicht berücksichtigt werden. Und solang sich niemand beschwert, ist doch alles in Ordnung.

 

Im Umkehrschluss ist ein gut recherchierter Bericht, ein ausgiebiger Guide und selbsterzeugtes Bildmaterial deutlich mehr Aufwand. Und noch unangenehmer, er verspricht auch noch weniger Erfolg und somit weniger Geld auf dem eigenen Konto. Wer zwei Wochen für einen Beitrag recherchiert, testet, berechnet und bastelt um hochwertige Information abzuliefern, wird nur in den seltensten Fällen von dieser Arbeit leben können.

 

Youtube und dem Hersteller von „E:NG“ ist das egal, solang die eigenen Zahlen stimmen.

 

Natürlich zeichne ich hier vorsätzlich ein vereinfachtes Bild. Es gibt gute und Interessante Inhalte auf Youtube, vor allem im Bereich Gaming. Ein Großteil nutzt die Plattform nicht nur des Geldes wegen. Es gibt diverse Vermarktungsmöglichkeiten auch abseits der Youtube-eigenen Vergütung. Aber es ist ein Paradebeispiel um die Gefahren von werbefinanzierten Inhalten zu dokumentieren.

 

Die überspitzte Quintessenz für werbefinanzierte Inhalte ist: „The Ultiamte Girls Fail Compilation 2012“ ist mit über 200 Millionen Aufrufen deutlich erfolgreicher als ein Guide zum Thema „GW2: Vampire Necromancer Build for PvE“. Zugegeben, dass sich wackelnde Brüste besser verkaufen als ausgewertete Excel-Tabellen eines Untoten, überrascht niemanden. Leider drohen Brüste zukünftig aufwendig recherchierte Inhalte zu verdrängen.

 

 

Für uns Gamer gibt es noch eine viele drastischere Schattenseite. Habt ihr in letzter Zeit mal kritische Tests zu Spielen gesehen? Nicht? Nun das mag daran liegen, dass der Rechteinhaber eines Spiels Videos welches Bildmaterial seines Werkes zeigt löschen lassen kann, so ihm der Inhalt nicht gefällt. Das muss dann zwar mit dem amerikanischen Urheberrecht (Digital Millennium Copyright Act) begründet werden, ist aber bei Youtube ein automatisierter einseitiger Vorgang.

 

So weit kommt es aber nur selten. Denn fast jedem Youtuber ist die „3 Strike“-Politik des Netzwerkes bekannt. Verstöße gegen Urheberrechte sind ein Abmahngrund. Wer dreimal verwarnt wird, weil z.B. ein Publisher unzufrieden mit der Berichterstattung ist, verliert seinen gesamten Channel. Alle Videos des Autors, egal ob betroffen oder nicht, werden offline gesetzt. Der Autor darf kein neues Youtube-Konto erstellen. Nett oder?

 

 

Auch andere werbefinanzierte Medien sind, eben Aufgrund ihrer Position zwischen Wirtschaft und Konsument, nicht ganz unabhängig. Neu ist das alles bei Weitem nicht. Private Fernsehsender finanzieren sich seit Jahren über ähnliche Modelle. Ob das Programm dadurch kritischer oder niveauvoller geworden ist, sei dahingestellt. Zumindest ist es vielfältiger und massentauglicher als etwa ein „Telekolleg II: Mathematik“ des Bayrischen Rundfunks.

 

 

Die Welt wandelt sich, Inhalte zu erzeugen ist heute leichter als je zuvor. Mit hochwertigem Inhalten finanziell erfolgreich zu sein, wird hingegen immer schwerer. Aus diesem Grunde brauchen wir Mediatoren, ein Vermittler im Streit zwischen Kommerz und Gemeinnützigkeit zwischen Quote und Niveau. Wir benötigen auch weiterhin die Expertisen von erfahrenen Journalisten mit Rückgrat um Echtheit und Fakten zu prüfen, als Vertrauensperson, als Ratgeber, als jenen die ihre Zeit für Quellensuche und Recherche opfert. Nicht zuletzt um die Meinungsvielfalt zu sichern und glaubwürdige, unabhängige Berichterstattung zu garantieren.

 

Dass Leser für diese Qualität wieder ihren Geldbeutel öffnen, wie einst für Zeitungen und Co, ist eine Illusion. Da helfen keine Paywalls, kein Premium-Angebote und Komfortfunktionen werden auch nicht reichen um eine Finanzierung zu realisieren. Das System der Werbefinanzierung wird uns wohl noch lange erhalten bleiben und umso wichtiger sind unabhängige Portale, Chefredakteure, Redakteure, Autoren und vor allem kritische Konsumenten. Denn letztendlich entscheiden sie alle über die Qualität zukünftiger Inhalte.