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Okt 28

Haben wir verlernt zu spielen?

Eine Frage die sich mir unweigerlich aufdrängt. Es scheint, als sei die Freude am Erleben dem Erreichen gewichen. Ist dies die unvermeidliche Evolution oder gar eine Degeneration? Ihr merkt schon, diesmal bin ich etwas nachdenklicher als üblich. Denn diesmal steht die klassische Sinnfrage im Raume und wartet darauf beantwortet zu werden.

 

Ich werd es mal versuchen. Man bewegt sich da zwar schnell in Bereichen, die eher bei birkenstocktragenden Kleinkind-Psychologen aktuell sind, aber wer das Thema umfassend klären möchte, kommt um die Lektüre von „Die Psychologie des Spielens“ wohl nicht umhin.

 

Euch möchte ich dieses trockene Werk ersparen. Ich werde darauf verzichten daraus zu zitieren. Warum? Geeeeenau, weil ich es nicht gelesen habe! Ab und an reicht auch der gesunde Menschenverstand, im Notfall sogar mein Menschenverstand, um sich Folgendes herzuleiten:

 

„Das Spiel dient evolutionär dazu, das unerfahrene Lebewesen auf die Bedürfnisse des zukünftigen Werdegangs vorzubereiten.“

 

Großartig, klingt doch ziemlich einleuchtend oder? Aber was zur Hölle hat das Erschlagen von Untoten in Guild Wars 2 mit meinem zukünftigen Werdegang gemeinsam? Man mag mutmaßen, spätestens wenn die Zombiehorden mich überrennen, ist diese Frage beantwortet. Ob mir Guild Wars 2 allerdings dann wirklich nützt, wage ich fast zu bezweifeln. Es sei denn ich werfe die CD gaaaaanz dolle…

 

Verflucht, ich hab es als Download gekauft!

 

Selbstnotiz: Wieder boxed Games kaufen, sonst hilflos bei weltumspannendem Ausbruch des T-Virus.

 

Wir sind uns sicher fast alle einig (ich sage extra fast, denn der leicht übergewichtige Herbert R. aus Schuckenbaum bei Bielefeld hat sich gerad in das Ninja-Kostüm, welches er aus dem Internet gekaufte, gezwängt und sucht Mamas Küchenmesser), die Kampfkunst werden wir durch MMO´s wohl kaum meisterhaft erlernen.

 

Das sehen selbsternannte Moralwächter zwar gern anders:

 

„Wer stundenlang das Schießen in WoW übt, der ist natürlich anfällig dafür, dies auch in die Realität zu übertragen!“

 

„Na ne, is klar! Setzen 6. Und ich will mit deiner Mama reden, sag ihr ich erwarte sie zum nächsten Elternabend.“

 

Was wir in Computerspielen lernen, und da nehme ich kaum ein Genre aus, ist es Informationen schnell aufzunehmen, zu verarbeiten und entsprechend zu reagieren. Oft auch fälschlicherweise als Hand-Auge-Koordination (Visuomotorik) bezeichnet, trainieren wir in Computerspielen Situationen einzuschätzen, die bestmögliche Reaktion darauf auszuwählen und auszuführen.

 

Das dürfte unbestritten zumindest eine alltagstaugliche Übung darstellen und der von mir aufgestellten Definition von „Spiel“ in die Hände spielen. Weitere Ausführungen warum Spiele vielleicht gar nicht so übel wie ihr Ruf sind, erspare ich euch. Denn in letzter Konsequenz sind sie ein kreativer Zeitvertreib.

 

„Aber KIND!!! du bist COMPUTERSÜCHTIG!!!“

 

„Ja Mama, und du schaust am Tag 3 Stunden Fernsehen oder liest ein Buch… Ich such dir gleich die Nummer der Anonymen Buchsüchtigen raus, und diesmal bricht du die Therapie nicht ab, das das klar ist!“

 

Was mich vielmehr beschäftigt, ist die Art und Weise WIE wir die Zeit in Spielen verbringen. Natürlich es war schon immer so, dass es ein Ziel gab, ob nun möglichst viele Lemminge retten zu können, Monster in Blasen einzusperren und anschließend zerplatzen zu lassen (Bubbles Bobbles ROCKT!) oder im Müllabfuhr-Simulator 2008… ehm… ja ne… nun ja… öhm.. wie auch immer, ihr versteht schon…

 

Es gab immer etwas, was erreicht werden sollte, aber mich beschleicht das ungute Gefühl, dass viele von uns verlernt haben den Weg zu diesem Ziel zu genießen. Es geht meist nur noch um den „Kick für den Augenblick“. Epische Gegenstände und das Überwinden des „Endcontents“ zählen, wie das erreicht wurde ist oft unwichtig und nur noch lästiges Übel. Das Maximallevel muss binnen Tagen erreicht sein um sich an den schwersten Aufgaben im Spiel zu messen, möglichst als einer der ersten um allen anderen zu zeigen wie überlegen man ist.

 

Kritisch hinterfragen? Unerwünscht! B00n, Kakn00b, alter l2P (lern to play), wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten!

 

Ja die Evolution greift und die hässliche Fratze des Darwinismus zeigt ihr Gesicht. Der Stärkere hat Recht! Sinnhaftigkeit bleibt da außen vor. Erfolgreich gilt man nur mit epischen Waffen, Achievements die für andere unerreichbar scheinen und einem dicken Konto virtuellen Geldes.

 

Anschließend kehrt Langeweile ein und schuld sind die Entwickler. Neuer Content wird gefordert, innerhalb kürzester Zeit wechselt man zum nächsten Spiel. Eine lebendige virtuelle Welt wie sie die Anfänge der MMO-Era prophezeiten, sind schon lange in unerreichbare Ferne gerückt. Denn das Interesse des Groß an Spielern gilt der eigenen Bestätigung durch Erfolg.

 

Ein Beispiel:

Guild Wars 2 ist ja, wie ich nicht müde werde zu erwähnen, eben nicht auf jene größer, besser, r0xor Einstellung aufgebaut. Der Spaß soll… entschuldigt sollte vielmehr auf dem Erleben liegen. Und die Entwickler geben sich alle Mühe. Etwa wie mit dem überragend angedachten Halloween-Event. Halloween, Trick or Treat! Kürbisschnitzen, in Verkleidungen durch die Welt rennen und allerlei Schabernack treiben, so stellt man sich einen solchen Event doch vor.

 

Arenanet aber lässt sich nicht lumpen und legt noch fett ne Kohle drauf. So gibt es neue Landschaften (Labyrinth des Königs), Weltevents, Waffenskins, neue Rezepte, Minigames und, und, und. Ein Grund zu jubeln, besonders wenn wir uns vor Augen halten, dass man für GW2 keine monatliche Gebühr zahlen muss.

 

Im Zuge dieses Events wurde auch eine 5-Spieler Event-Instanz eingeführt. Nicht ganz reibungslos, aber was solls. Wer etwas Glück hatte, konnte um 20 Uhr in die Instanz latschen. Und was sagt die Community am nächsten Morgen im Forum?

 

„Loot ist voll nich episch alder, voll der fail!“

„21:20 Uhr, Solo gelegt!“

„Nach 6 Runs echt langweilig“

 

SACH MA HACKT`S?

 

Das lässt einen doch nachdenklich werden oder?

 

Warum mir das Thema so wichtig ist hat viele Gründe. Der zentrale, zumindest für mich, ich erkenne diese Entwicklung auch bei mir und das stört mich.

 

Ich habe immer sehr ambitioniert gespielt. Meine HdRo Gilde dürfte darüber mehrere Liedchen singen können… ich sagen nur „Schmiede“. 66 (vielleicht auch häufiger) mal waren wir in dieser Instanz einzig um eine Kette für mich zu ergattern die gefühlte 0,0002 % mehr kritischen Schaden bedeutete und welche keine zwei Wochen später im Addon bei einem NPC für einen Pfennigbetrag gekauft werden konnte.

 

Ja natürlich habe ich mich geärgert wenn die blöde Kette mal wieder NICHT in der Kiste war, aber man was haben wir Spaß gehabt uns da durchzuprügeln.

 

Mit GW2 ist diese Freude, mich am Spielen selbst zu erfreuen, wieder zurückgekehrt, es scheint jedoch nicht allen so ergangen zu sein. Hoffen wir, dass eben jene den Endcontent bald durch haben, das Spiel verlassen und die Foren wieder ruhiger werden, und Arenanet dieses wirklich selten gewordene Spielprinzip beibehält.

 

In diesem Sinne,

 

Tüssken, euer Erzkanzler