Wenn ich mir die „globalisierte“ Welt der Games-Industrie anschaue, frage ich mich immer, ob Menschen in den letzten zehn Jahren alle die gleiche Vorliebe entwickelt haben.
Wirklich neue Spielkonzepte sind eine Seltenheit geworden, erfrischende Ansätze wie das Spiel „World of Goo“ sind helle Sterne im sonst düsteren Weltraum der Spiele-Einfallslosigkeit. Schaut man sich jedoch im Bereich der angestammten Franchises um, unterscheiden sich Spiele oft nur noch in sogenannten „Features“.
Hey, bei Shooter XYZ kann man eine UZI mit Schalldämpfer benutzen UND es gibt Fahrzeuge. Ja danke – erfrischendes Konzept, UZIs mit Schalldämpfern, Wunderwerk und Innovation (Entwicklungsjahr: 1949) und Fahrzeuge in Shootern, ich denke… ja die gab es auch schon auf dem Commodore C64. Aber BEIDES in EINEM Spiel… das ist ja Waaaaahnsinn, bekommt man auch den formschönen Messerbock aus Polymer mit 20 Jahren Anti-Rost-Garantie dazu?
Oftmals denkt man als Kunde doch schon: „Hey, das Spiel wäre doch viel toller wenn…“ und fragt sich im nächsten Gedankengang, ob in den Entwicklerstudios nur noch Duracell-Hasen sitzen, deren Innovationsansätze allesamt in einer Dose Anchovis Platz finden würde. Aber spätestens jetzt ist die Aufmerksamkeitsspanne meist schon überschritten und der Ladebildschirm vorbei.
Zumindest der Anchovis-Gedanke tut den Entwicklern jedoch Unrecht. Das schon erwähnte „World of Goo“ wurde zum Beispiel von Kyle Gabler entwickelt, ein ehemals hoch bezahlter EA Mitarbeiter. Es liegt also nicht zwangsläufig an der Einfallslosigkeit der Entwickler sondern auch am Druck der Publisher.
Beleuchtet man das Thema mal von der wirtschaftlichen Seite, wird schon klarer, woher der Wind weht. Ich verdeutliche das mal an einem Beispiel: Gehen wir mal davon aus, ich hätte ein revolutionäres Spielkonzept, welches so gut ist, dass ich darüber nicht mal in meiner eigenen Kolumne schreiben würde. Würde ich mir jemanden suchen müssen, der mir ein wenig Geld vorschießt, damit ich dieses Konzept verwirklichen kann. Nennen wir die geldbesitzende Person mal Publisher und lassen das Gespräch verkürzt ablaufen.
Ich: Alder Schwede, ich hab da was, das ist noch NIEEEE dagewesen und voll genial!
Er: Hmm, und das verkauft sich?
Ich: Na aber sicher, echt, ehrlich, wirklich, ich schwööööööhrs dir!
Er: Ok, dann machen wir das, hier hast du 4 Mio. Vorschuss und 3 Jahre Zeit. Wenn´s nix wird, auch nicht schlimm, jeder hat mal ‘n schlechtes Jahr.
Meine Freundin: Schatz! Aufwachen, du musst zur Arbeit und du hast schon wieder das Kissen vollgesabbert.
Gut, so wird es also, bis auf den letzten Satz, kaum laufen. Die Game-Industrie ist ein hartes Geschäft, Aktionären ist es egal, wie innovativ ein Spiel ist, denn sie werden es nicht spielen. Aktionäre wollen Sicherheiten, eintretende positive Quartalsprognosen und möglich machen muss das der Publisher, dem es obliegt zu entscheiden, durch welche Spiele dies möglich wird. Somit ist die sogenannte „Planungssicherheit“ ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Entscheidung, welche Art von Spiel es in die „Oberliga“ schafft.
Frei nach der alten Weisheit: „Was der Bauer nicht kennt, spielt er nicht!“ wird hier wild drauf los geklaut, abgekupfert und synergiesiert. Denn was in der Vergangenheit funktioniert hat, muss doch wohl auch in Zukunft funktionieren. Damit es nicht zu auffällig wird, klaut man gleich an mehreren Stellen.
Der Vorteil an dieser Taktik: Die Spieler bekommen Altbekanntes in neuem Gewand, müssen sich also nicht umorientieren und somit ist die „Absprungrate“ recht gering. Der Publisher kann die gesamten Spieler aller Spiele, bei denen er sich „Anregungen“ geholt hat, als potenzielle Zielgruppe angeben. Und das Risiko ist überschaubar.
Schon hallen die Rufe aus den Kreativschmieden: „Ein Königreich für ein Franchise!“ Denn verpackt man diese wahnsinnig innovative Ideenzusammenführung nun auch noch unter einer etablierten Marke, erweitert sich die Zielgruppe und das Marketing kann auf ein schönes Sammelsurium von Schlagworten wie: Tradition, Geschichte, Weiterentwicklung, Evolution, Konstanz, Geradlinigkeit, Treue und weitere Begriffe zurückgreifen, die das Synonymwörterbuch (natürlich online auf dem iPhone, man ist ja ganz nah an seiner Käuferschicht) so hergibt.
Tadaaaa! Der Blockbuster ist erschaffen, sollte er sich schlecht verkaufen, ist der Schuldige bereits klar. Die Marketingstrategie ist nicht aufgegangen. Es wurde zu wenig getwittert, gefacebookt, geyoutubet. Fragt man das Marketing, dann liegt der Fehler in der Nutzung traditioneller Vertriebswege, von dem der Audi-A6-fahrende Marketingleiter ja schon im ersten Zwangsbrainstorming der Abteilung abgeraten hat. Und nur weil die Entwickler keine Möglichkeit gefunden haben, das Spiel mit einem Blu-ray-sprengenden 40 GB-Volumen im Browser auf Facebook lauffähig zu bekommen, könne man doch nun nicht ihm die Schuld geben. Jemand Sushi?
Die Konkurrenz hat bewiesen, schon mit einer der vielen im Spiel vereinten Ideen kann man Millionenumsätze machen.
Warum diese Taktik nicht immer aufgeht, ist für „Normalsterbliche“ so schnell erkennbar, dass man unweigerlich darüber nachdenkt, welche entscheidenden Punkte man außer Acht gelassen hat.
Das Paradebeispiel, und ja auch ich muss es erneut nutzen, ist und bleibt „World of WarCraft“. KEIN, ich wiederhole, KEIN einigermaßen kreativer Mensch würde auf die Idee kommen, nach nun über fünf Jahren WoW-Herrschaft im Genre MMORPG ein Spiel zu erstellen, welches alle grundlegenden Ideen des Spiels übernimmt. Na dann, schauen wir mal in das Gurkenglas der Spielentwickler… Ach herrje, schau sich das Einer an, fünf Jahre voller WoW-Klone. Hey liebes Marketing, darf ich eure Excel-Tabellen sehen? Steht da „Potenzielle Käuferanzahl 11 Millionen Blizzard-Kunden“?
Oh nein Moment, das kann der Schreiberling doch jetzt nicht einfach so sagen! Wir haben doch alles besser gemacht als WoW! Und unsere Grafik ist auch viel schöner. Außerdem, als wir unser Spiel auf Free2Play umgestellt haben, ist unsere Aktie ganz doll voll knuddelig nach oben gegangen. Und schon ist das Spiel dann doch ein Erfolg, was interessiert uns unsere Excel-Tabelle von damals!
An dieser Stelle spuckt der angesprochene Schreiberling dieses Artikels seinen Kaffee, aus Entsetzen über seinen eigenen Text, in Richtung Monitor. FREE 2 PLAY? Der Herzschrittmacher für Spiele-Leichen und Totgesagte! Ist ein Spiel zu schlecht, um Käufer dazu zu bewegen, es zu kaufen (ja lieber A6-Fahrer, ich weiß die Vertriebswege… ich glaub, in der Agenturküche steht Sushi), müssen sich „Marketing-Optimizer“ neue Konzepte einfallen lassen. Da greift man doch einfach ganz tief in die PR-Kiste, welche aus den Zeiten stammt, in der PR noch Propaganda genannt wurde, und zieht den Vorschlaghammer der Willenslenkung heraus. Meine Damen und Herren, ich präsentiere: DIE LÜGE! Sie ist nicht schön, sie ist nicht neu und für die Powerpoint-Präsentation müssen wir ihr noch einen neuen, möglichst englischen, Namen geben. Wie wäre es mit „peer group imposture campaign“? Der Sushi-Mann nickt achtungsvoll und überlegt fischkauend, wie er dies als seine Idee verkaufen kann.
ich wundere mich allerdings wirklich tagtäglich, WER ZUR HÖLLE GLAUBT DAS? Ich entschuldige mich bei allen Sushi-essenden Marketing-Schleichern, die es geschafft haben, Kunden davon zu überzeugen, sie würden von einem börsendotierten Großunternehmen mit Quartalsabrechnungen und Gewinnzwang Geschenke bekommen. Mann, Mann, Mann, ihr verkauft die Bibel auch als Neuerscheinung des Monats an Amish oder?
Meine ganz persönliche Erfahrung: Wo Free2Play draufsteht, findet man im Forum reichlich Menschen, die Texte schreiben wie: „Ich hab mir einen Ferienjob besorgt, um mir (insert digital item here) kaufen zu können“. Hey Sushi-Mann, erzähl dem doch mal was von Free2Play! Hab ich einfach nicht gut genug im Englisch-Unterricht aufgepasst oder werden wir wirklich einfach für dumm verkauft?
Die Mentalität erinnert an einen Bestatter der seinen Kunden ein Lifetime-Abo anbietet. Finger weg vom Telefon, Sushi-Mann, das ist MEINE Idee!
Die Branche ist in heller Aufregung, mobile Anwendungen und Social Network heißen die Schlagworte. Ok, dafür muss man nicht mal Sushi mögen. Die Idee, dass man „Pong“ (Release 1970) in Farbe nun als IPhone-App für teuer Geld verkaufen kann… da riecht man doch förmlich die Zukunft! „Die Siedler“ (Release 1993) als Browsergame, heisa hoppsassa wer braucht schon Tempelritter, der Heilige Gral ist gefunden.
Wer mag da noch über Inhalte nachdenken. Auf die Idee, dass das was vor 20 Jahren auf dem Röhrenbildschirm langweilig war, vielleicht unter Umständen auch auf einem 2,5 Zoll Touchscreen-Display mit superduper-Bäm-in-your-Face-Auflösung langweilig sein könnte, kommen wohl nur technikfeindliche Ketzer. Und wenn wir Eins nicht mögen, sind es Ketzer!
Das Schöne an Ketzern ist, es sind wenige. Bei grob geschätzt 6,845,005,243 Menschen auf dieser Erde finden sich wohl derzeit mehr Käufer des „Barbecue“-Apps, welches das iPhone in einen virtuellen Grill verwandelt, als Ketzer. Vielleicht sollte ich mal über das Scheiterhaufen-App nachdenken, um Technikfeinde auf dem iPhone zu opfern… Sushi-Mann! Denk nicht mal dran!
Das Zauberwort hinter all der glänzenden Spielwelt ist DURCHSCHNITT, natürlich wieder hübsch im Marketing-Gewand. Menschen haben verschiedene Vorlieben, beispielsweise spielt eine Nutzerfraktion gerne Sniper im Shooter, Andere hingegen wollen „rambo-like“ die Front erstürmen. Zwei verschiedene Konzepte, die nicht immer zusammen passen wollen. Problematisch wird es, wenn bekannt wird, dass beide Spieler GELD besitzen. Aktionäre zeigen sich wohl recht uneinsichtig, versucht man ihnen zu erklären, dass in einem Ego-Shooter beide Konzepte nur schwer zusammen zu bringen sind und zwei einzelne Spiele die sinnvollere Wahl wäre.
Möglichst viele Interessen in einem Spiel verbinden funktioniert leider nur, indem man die Konzepte nicht konsequent durchsetzt. Je mehr Konzepte und Interessen, desto mehr Spieler kann man erreichen, desto inkonsequenter werden Spielideen. Die schwierige Aufgabe des Entwicklers ist es nun also, jede Interessengruppe nur so weit zu verärgern, dass sie das Spiel trotzdem kauft.
Bevor nun der Klassiker „Wenn du das alles so schlimm findest, dann kauf doch das Spiel nicht“, aus der rhetorischen Steinzeit in meine Richtung geworfen wird, dem sei geraten, sich die derzeitigen Alternativen anzuschauen. Nur weil ich kein iPhone besitze, bin ich gezwungen, das gute alte „Pong“ im Original zu spielen? Also bunte Vielfalt und „Entertainment“ nur für Menschen mit Durchschnittsgeschmack, sonst ist es nicht rentabel?
Tja, so scheint es fast, nur ein kleines gallisches Dorf leistet den römischen Übergriffen erbitterten Widerstand. Denn es gibt Ausnahmen und diese zeigen, dass es auch anders geht. Erfolgsgarantien gibt es hier natürlich nicht, aber hätte man bei Blizzard vor fünf Jahren nach Erfolgsgarantien gefragt, so würden heute vielleicht elf Millionen Spieler in die sprichwörtliche Röhre schauen.
Wenn Käuferzahlen anfangen, innovative Konzepte zu verhindern, wird über kurz oder lang von der einst bunten und vielfältigen Games-Landschaft nicht mehr viel übrig bleiben. Aber kein Grund zu verzweifeln, wenn nur noch die Masse im Fokus steht, öffnet sich ein neuer Freiraum für Experimente kleinerer und unbekannterer Entwicklerstudios. Es bleibt zu hoffen, dass diese eigene Wege gehen und nicht ebenfalls versuchen, die übersättigte Masse der Durchschnittsspieler zu gewinnen.
In diesem Sinne, Mut zur Idee – tut´s dem Sushi-Mann auch weh.
Letzte Worte