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Feb 10

Illuminatus war gestern! Die Beta-Verschwörung

Jeder Spieler kennt sie, jeder Spieler ist froh an ihnen teilnehmen zu dürfen und doch gibt es kaum etwas, über das sich eben jene Spieler aufregen. Ok, wenn man bei den California Games auf dem Amiga 500 (oder war´s noch der C64) die Welle mal wieder nicht erwischt hat und seinen Quickshot II Turbo (der gute Joystick mit den Microknöpfen) in die Ecke geworfen hat, das war ähnlich unbefriedigend, aber ich rede von der modernen Erfindung des Marketings. Und hier speziell die sogenannte Beta-Phase.

In meiner Jugend waren Betaphasen noch unbekannt, es gab sie nur an staatlichen Laboren und in Universitätsversuchen, der Sinn war aber schon damals wohl derselbe wie auch in der Computerspielentwicklung. Man wollte etwas unter realitätsnahen Verhältnissen testen bevor man es auf die Öffentlichkeit losließ, heute nennt sich so etwas „klinische Studie“ und der Gesetzgeber hat enge Richtlinien für eben jene geschaffen. Das wünscht man sich ab und an auch für Beta-Phase von Computerspielen.

Diese Tests funktionierten, zumindest in der Computerspiel-Branche auch recht gut, man lud einen ausgesuchten Kreis von Testern ein, das Entwickelte auf Herz und Nieren zu prüfen um auftretende Fehler im Nachhinein und vor dem Release zu bereinigen.

Doch dann kam der Teufel persönlich und bemächtigte sich dieses unscheinbaren Werkzeugs um arme und harmlose Spieler an den Rand der Verzweiflung zu treiben. Da Kumpel Beelzebub sich jedoch seines Imageproblems bewusst war griff, er nicht etwa zu Pech, Schwefel, Feuer und Pest um junge Menschen zu unterjochen, nein er erfand das Marketing.

Die Inquisition der Moderne war geboren und begann ihre Arbeit. Zuerst wurden die Entwickler unterwandert. Nicht etwa sie durften über kommende Spielideen und Inhalte entscheiden. Nein die dunklen Schergen der Luziferaner erschlugen jedes junge kreativ aufkeimende Pflänzchen von Witz und Innovation mit der Keule der Massentauglichkeit. Jeder Ansatz von Leidenschaft im Berufe wurde mit dem Memo des Grauens niedergemäht. Sollte das nicht reichen erledigte die Sense der Marktforschung den Rest. Luzifer hat aufgerüstet, nicht mehr Flammenschwert und Tod, nein Marktanalysen und Powerpoint sind die messerscharfen Waffen des Bösen geworden.

Der Anfang war gemacht, nun galt es nur noch das wartende Volk ebenfalls auf den Weg des neuen Kurses einzustimmen. Aber auch ein Höllenfürst kann nicht mit leeren Händen kämpfen. Doch wie soll man Übel sähen, wenn das Saatgut nur auf dem Papier vorhanden ist? Laut grollend meldet sich Satan persönlich und schreibt in dunkelrot lodernden Lettern folgende Eckpunkte auf das Whiteboard seiner Folterknechte:

  • Key-Community Awareness 
  • Feature-rizing zur Userbindung
  • Sneak Peek
  • Closed-Beta Pre-oder gratifikations
  • Open Beta
  • Headstart

Der Geruch nach Schwefel ist selbst beim Schreiben dieser Worte kaum zu verheimlichen, egal wie gebannt ich angewidert meinen Tischnachbarn anschaue, um allen Umsitzenden zu verdeutlichen. dass nur er der Grund für diesen Gestank sein kann.

Ja, auch ich war Luziferaner! und ja ich plaudere aus dem Nähkästchen der Folterknechte! Die erfolgreichsten der Zunft sitzen, meiner Einschätzung nach, bei den Kollegen von Activision Blizzard. Wie man es schaffen kann ein Spiel durchgehend im Gespräch zu halten, in dem man über Jahre auf Messen dem hungernden Volke die gleiche alte Scheibe trocken Brot zeigt, großkotzig Features des kommenden „Meisterwerks“ ankündigt, um sie vor Release wieder aus dem Spiel zu patchen. Dies dann auch noch mit einer entsprechenden Pressemitteilung zu versehen um auf den newshungrigen Spieleportalen eine Meldung zu erhaschen, grenzt schon an Meisterschaft des modernen Marketings. Doch die unmündigen Untertanen sind über Jahre erzogen und hungrig. Egal wie negativ die Meldung auch sein mag, es bewegt sich etwas im „When it´s done!“-Universum.

Eine perfide Sonderform und Höllenqual hingegen ist die Beta. Hier hätte die alte Socke Luzi aber vielleicht doch lieber mit den altbekannten Plagen zur Qual ausholen sollen, denn ob Beta-Phasen wirklich die erhoffte Wirkung bringen, mag man ganz bescheiden bezweifeln.

Denn der normale Ablauf einer Beta-Phase ist fast schon in Stein gemeißelt. Wochenlang werden Ankündigungen, Gewinnspiele, Pre-Orderzugaben und Kooperationen mit der Fachwelt organisiert, damit selbst die 14-jährige Schantalle aus Hintertupfingen ihren Betazugang erhält. Was früher noch ein Privileg eingefleischter Nerds war (zu der Zeit als Nerds die einzigen waren welche die Bedeutung des Wortes auch nur erahnen konnten) sind Beta-Phasen heute ein Massenereignis und dienen nur noch der „Awareness-Erhöhung“ in der angepeilten Zielgruppe.

Und da es sich um Werbemaßnahmen handelt, hat natürlich niemand die Techniker und Entwickler mit einbezogen, die Codeknechte sollen tippen und nicht denken! Also legt Oma Krause Freitagnachmittag um 16 Uhr los. Den Aktivierungskey hat sie bereits mit Hilfe des Enkels aus der Mail auf ein altes ranziges Taschentuch übertragen. Denn merken konnte sich Oma Krause diese 164-stellige Aneinanderreihung von Buchstaben bei Leibe nicht. Doch Potzblitz; hat Oma Krause etwa ihre Fernsehbrille auf der Nase? Wo ist die Lesebrille… ist das ein O oder doch eine Null? Und warum ist die Seite des Aktivierungsportals nicht erreichbar?

Tja liebe Oma Krause, die Erklärung ist viel einfacher als gedacht: „Programmierer sollen tippen, nicht denken!“ Das Kredo der Höllenwesen geht auf. Natürlich kann man seinen Key einlösen, das hat das Marketing überprüft, jeder der 15 Marketingknechte hat seinen Key ordnungsgemäß eingelöst, nicht etwa um zu spielen, nein um seine Verbundenheit zum Produkt zu demonstrieren. Eine taktische Überlegung, sammeln doch 14 der 15 lieber Überraschungsei-Figuren. Nummer 15 sammelt benutzte Slips von Schulmädchen und wird von seinen Kollegen insgeheim dafür bewundert.

Das Unvorstellbare, nimmt seinen Lauf, Schantalle und Oma Krause haben doch fast GLEICHZEITIG, also im Abstand von geschätzten 45 Minuten, versucht sich einzuloggen… Und was passiert? Genau, der Server geht in die Knie und versagt den Dienst. Die 35 Memos zum Thema der zu erwartenden Serverlast hat jeder Entwickler gelesen, das Marketing hingegen lässt sich von solchen Kleinigkeiten nicht beeindrucken. Memos die nicht aus ihrer Abteilung kommen, können ja nicht wichtig sein. Tja und wer erklärt das nun Oma Krause?

Genau der sogenannte Community Manager. Community Manager sind, man mag es kaum glauben, KEINE Ausgeburt der Hölle und profitieren auch nicht davon. Er ist naiver Spielball, gelockt mit falschen Versprechungen. Zielgruppenkommunikation, Am Puls der Community, Held der Spielgemeinde, Hermes, Götterbote und Erlöser der Ratsuchenden, so klingt das Berufsbild des Community Managers doch viel angenehmer als Prügelknecht… eine Erfindung von Luzi persönlich, keine Frage.

Zurück zum Thema, die Beta. Natürlich versagen nicht nur die Aktivierungsserver, 40.000 Keys hat das Marketing verteilt. Und ja es gibt, oh Wunder, nach 4 Wochen Dauerpenetration wirklich 1-2 Menschen die das Spiel testen wollen. Die Folge sind diabolische Warteschlangen die auch Oma Krause mit entsprechender Fehlermeldung bei einstelligem Warteschlangenplatz aus eben jener Schlange unsanft entfernen. Sie greift hastig zum Analogtelefon um ihren Enkel anzuschreien, dieser wiederum nutzt Twitter, Fratzenbuch oder offizielles Forum um den dummen Entwicklern mal ordentlich die Meinung zu geigen, denn Sie sind schuld am Tod der geliebten Oma.

Selbst jene Auserwählten welche einen Blick des Spiels erhaschen durften, Schantalle beispielsweise, überfordert mit der Aufforderung „press any Key to continue!“ ihren Schlüssel vergeblich drückend, wird nach der tatkräftigen Mithilfe ihres begabteren Bruders nur mit Verbindungsabbrüchen, ruckelnden Bildern und Fehlerquellen beglückt. Die Schantalle hat nach zwei Minuten wieder zu Sims auf Facebook gewechselt, das ist irgendwie professioneller.

Letztendlich bleibt die Frage, was bringt denn eine Beta nun wirklich? Wer bis jetzt noch nicht überzeugt ist hier die dunklen Machenschaften einer Verschwörung erkennen zu dürfen, der wird spätestens nach Beantwortung dieser Fragestellung ein Gefühl der Erleuchtung verspüren.

Schantalle spielt wieder Sims, Oma Krause ist demenzkrank und wird auch noch in zwei Wochen alle halbe Stunde ihren Enkel anrufen um ihn zu beschimpfen, alle Spieler die ihren Beta-Key bekommen haben weil sie dem Publisher auf Fratzenbuch, Gezwitscher und auf anderen Sozialmedia-Gedöhns folgen, sind eh am Spiel interessiert und müssen nicht abgeschreckt werden durch mangelnde Performance einer unfertigen Version des Spiels. Gleiches gilt für Key-Community-Portale über die massenweise Keys verteilt werden. Der Werbeeffekt ist also verhältnismäßig gering auch wenn man so wenigstens in die News der großen Spieleportale kommt. Das allerdings hätte man auch erreicht, wenn man einen furzenden Pandabären ins Spiel eingebaut hätte und das Youtube-Video als „virales Leek-Video“ zufällig im Netz auftauchen lässt.

Gewinner sind also einzig die Marketingknechte, welche bombastische Zahlen von teilnehmenden Spielern in ihre Excel-Tabelle eintragen können, das davon 60% unzufrieden gerad einmal die Charaktererstellung gemeistert haben, bleibt außen vor. Im Marketing zählen sogenannte FI´s also „First Impressions“. Wie der erste Eindruck ist, ist dem Marketing auf gut Deutsch einfach mal Banane. Fünf Wochen vor Release denkt doch eh kein Schwein daran den Release zu verschieben oder gar das Spiel einzustampfen und auf den Müll zu werfen, der Marketingaufwand hierfür wäre auch viel zu hoch.

Auffallen wird diese Verschwörung jedoch nicht, einen Monat nach Release sind 80% der Marketingabteilung bereits in anderen Unternehmen, Schantalle wird niemand fragen warum sie das Spiel nicht spielt und die verbleibenden 20% der Luziferaner wirft den Entwicklern vor sie müssten sich um tolle Ingame-Events und um das Balancing kümmern sonst würde die Zukunft düster aussehen.

Ich freu mich auf die nächste Beta, warum weiß ich ehrlich gesagt auch nicht.

Mit freundlichem Gruß ans Marketing,

Euer Erzkanzler