Gehen wir mal davon aus, du hast nicht auf diesen Beitrag geklickt um die sekundären Geschlechtsmerkmale einer 80er Jahre Schnickse anzuschauen. Zumindest will ich davon ausgehen. Meine Leserschaft ist hoch niveauvoll und schaut im Internet natürlich ausschließlich hochwertig informative Inhalte an. Und genau das könnte in Zukunft schwer werden. Nicht jeder folgt Nemesis und seine Necro-Guides auf Youtube. Er hat es in seinem letzten Video recht deutlich thematisiert, wie der aktuelle Werbemarkt unsere Wahrnemung beeinflusst ohne das wir es wirklich merken. Er tat dies zwar nur im Bezug auf Gamingreviews und auch nicht ganz uneigennützig, aber im Kern ist es eine bedrohliche Entwicklung, deren Auslöser jeder einzelne von uns ist.
Ich werde einmal versuchen grob zu umreißen worum es geht. Würden wir folgende Headlines auf einer Newsseite (nennen wir sie der Einfachheit einfach WFT-online) posten:
„Vorratsdatenspeicherung erneut in der Kritik“
und
„Justin Biebers Nipplegate“
Ich hab überlegt, ob ich beide verlinke und mal eure Wahl auszuwerten. Aber ihr hättet NATÜRLICH alle nur die erste Meldung gelesen.
Beide News könnten so über den Ticker einer der großen Nachrichtenagenturen gelaufen sein. Denn Nachrichtenagenturen werten nur wenig. Ihr Umsatz hängt von der Masse der News ab. Anschließend ist der Chefredakteur gefragt. Er hat sich für eben jene beiden Nachrichten entschieden. Denn die erste empfindet er als Journalist als moralisch wichtig, die andere wird mittelbar für Besucherzahlen sorgen. Fair enough!
Aber genau hier beginnt ein nicht unerheblicher Teufelskreis. Auch wenn Vorratsdatenspeicherung ein deutlich wichtigeres Thema ist, wird es weniger geklickt. Da ein Online-Portal aber mittelbar von Werbeeinnamen lebt, ist man natürlich auf Klicks angewiesen. Denn Werbevermarkter kaufen „Clicks“ und „Impressions“ also Sichtungen ihrer Werbung. Wenn ein Unternehmen also Bannerwerbung (ja genau dadurch finanziert sich ein Großteil der Onlineportale) buchen möchte, kann es sich das werbliche Umfeld nicht bis ins letzte Detail aussuchen. Man bucht also im wirklich besten Falle 10.000 Impressions auf WTF-Online. Dabei ist es egal wie diese erreicht werden. Ihr merkt schon wie der Hase rennt.
Die Konsequenz (positiv formuliert): Ihr entscheidet über Inhalte!
Die Konsequenz (negativ formuliert): „Die Anderen“ entscheiden über Inhalte!
Und mit „die Anderen“ meine ich all jene die Frauentausch schauen, die Shoppingqueen schauen, die Justin Beber-CDs kaufen, deren Lebensziel die neusten Appleprodukte sind und und und…
Es wäre fast schon demokratisch, man wählt was die Mehrheit möchte. Nur leider gibt es für News keinen Minderheitenschutz. In Zukunft könnte ein Großteil kritischer Meinungen, tiefgängiger Themen und unliebsamer Wahrheiten aus dem Netz verschwinden. Natürlich wird es immer wieder Idealisten geben die weiter auf freien Portalen ohne „Werbedruck“ schreiben. Aber die Masse der Onlinemedien wird über Justins Nippel schreiben. Die Entwicklung ist leider bei Leibe nicht neu und zeigt sich tagtäglich auch im Fernsehen wo Fakedokus, scriptet Realtity, Jungleccamp und Alarm für Cobra 11 im Fokus stehen. Nachrichten sind dabei nur teures und schmückendes Beiwerk das durch Drittanbieter befüttert wird.
Für „uns“ als Verbraucher hat das schnell deutliche Folgen. Denkt einfach mal darüber nach wann ihr das letze mal auf einem Gamingportal eine deutlich negative Berichterstattung über ein AAA-Titel von einem großen Publisher gelesen habt. Kleines Beispiel, Warner Bros. veröffentlicht Batman: Arkham Knight und zieht SELBER die Reißleine und stoppt den Verkauf Aufgrund schwerer Mägel. Da würde man doch erwarten, die Gamingportale hätten diese Probleme auch erkannt oder? Der Metascore für die PC-Version liegt zwar bei mittelmäßigen 62 Punkten, aber von den fünf Bewertungen durch werbefinanzierte Portale ist KEINE Bewertung negativ. Schaut man sich die User-Reviews an… ergibt sich ein anderes Bild. 347 der 435 Bewertungen sind negativ.
Natürlich, mir ist bewußt dass Nutzer häufig negative Eigenschaften eines Produkts deutlich subjektiver Wahrnehmen und oftmals auch nicht den Blick fürs Gesamtbild haben… ABER, sind das denn nicht eigentlich die KUNDEN? Ist das Spiel nicht genau für diese Menschen entwickelt? Warum ist das also so?
Ein Beispiel aus meiner Vergangenheit. Ich war Community Manager und habe für einen bevorstehenden Release Onlineportale zu einem Community Day eingeladen. Warum man das als Publisher macht, dürfte klar sein. Das Studio war in den USA, also laden wir ausgesuchte Portalbetreiber ein, zahlen den Flug, lassen sie im fünfsterne Hotel übernachten, Essen und Events, Spielvorstellung und Plausch mit den Entwicklern. Einige Tage später sind auf den Portalen positive Berichte über den geilen Trip ins Studio zu lesen und Kritik… nun ja verhalten. Was mir damals wirklich imponierte, ein Portalbetreiber schrieb eine Preview in der er sich herzlich bedankte, das Spiel wäre aber leider aus diversen Gründen schlecht! Und der Release zeigte dann er hatte Recht.
Wie ich als CM aber meinem damaligen Chef hätte erklären sollen, dass dieser Mensch viel wichtiger für uns ist als alljene, die gut berichtet haben, weiß ich bis heute nicht. Aber die Chance, das dieser Schreiberling auch zur Vorstellung des Nachfolgers eingeladen wird, dürfte wohl gleich Null sein. In Marketingetagen gilt „auch schlechte Presse ist gute Presse“ nicht! Da muss alle Awesome sein. Und das erwartet man auch als Gegenleistung. Selbst für Beta-Zugänge, Previews und Goodies die man den Portalen zur verfügung stellt. Wer nicht mitspielt, ist raus.
Und wer raus ist weil er nicht mitspielt, der bekommt Infos und News eben später. Wer News später bekommt wird weniger gelesen wer weniger gelesen wird, hat weniger Einnahmen durch Werbung… und schon sind wir im Teufelskreis.
Nein, ich bin kein Märtyrer und auch kein Heilsbringer der die Lösung und die Wahrheit mit der digitalen Peitsche in seinen blutigen Blog-Rücken peitscht. Es geht mir um Sensibilisierung. Lest bewußter, klickt bewußter und nutzt eure Wahlmöglichkeit, denn nur so habt ihr sie auch in Zukunft noch. Vielleicht…
In diesem Sinne euer Erzi.
Letzte Worte