Wer nun glaubt, daß ich getrunken hätte, der irrt nicht. Doch diesmal ist es Kaffee, also kein Grund, meine geistige Gesundheit in Zweifel zu ziehen. Es gibt Momente, da ist ein liebgewordenes Spiel vergleichbar mit Donuts, man könnte sie fast jeden Tag essen – aber nach einem Jahr darf´s dann auch mal wieder eine Scheibe Schweinebraten sein (man, eine der schlechtesten Einleitungen des Jahres, ich versuch´s noch einmal).
Die Welt der MMO´s ist bunt, abwechslungsreich und granatenstark! Es sollte also kein Problem sein, einfach mal etwas Neues zu finden, um dem aktuellen Lieblingsspiel für kurze Zeit den Rücken zu kehren. Nicht etwa, weil es kein tolles Spiel wäre, eher weil… na das ist in etwa so wie mit Donuts…. (Verdammt…!).
Nun gut, ich wollte mich also nach neuen und innovativen Spielen umsehen. Seit Release von Guild Wars 2 Ende August letzten Jahres sollte sich doch Einiges bewegt haben. Der Sprung ins kalte Wasser entpuppte sich leider ziemlich schnell als ein Bauchklatscher in trübes dreckiges Brackwasser der Spieleindustrie. Aber der Reihe nach.
Defiance:
Meine Wahl fiel auf „Defiance“ – ein MMO, welches durch die gleichnamige TV-Serie beeinflusst werden sollte. Mir ziemlich egal, ich hab nicht mal einen Fernseher (glaubte mir die GEZ leider nie). Aber endlich mal keine Zwerge, Elfen, Baumwesen und Trolle umhauen zu müssen, erschien mir als eine interessante Abwechslung. Über das Finanzierungsmodell des Spiels kann man geteilter Meinung sein. Einmal voll bezahlen, danach nie wieder, aber es gibt einen Itemshop. Das Prinzip kenne ich aus Guild Wars 2 und mag es recht gerne. Kann ich doch selber entscheiden, ob und wie weit ich die Entwickler unterstützen möchte. Aber auch ich mag es nicht, wenn Entwickler mich, gelinde gesagt, verarschen wollen. Free2Play wird schnell zum Pay2win und Marketingerfindungen wie „Freemium“ schrecken mich dann doch eher ab. Aber gut, zurück zu Defiance. Leider hat sich Trion, Entwickler von Defiance, das Leben für meinen Geschmack etwas zu leicht gemacht. Kaum betrete ich die Onlinewelt des Spiels, frage ich mich unweigerlich, warum Telara so dreckig aussieht. Doch schnell wird klar, Telara (die Spielwelt des MMO´s Rift des gleichen Entwicklers) heißt nun Erde und Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix!
War der weitgehend nutzlose Charaktereditor noch schön anzusehen, so zeigt der einleitende Rendertrailer schon, dass sich Defiance nicht auf der Höhe der Zeit bewegt. Wo hat Trion nur die ganzen digitalen Besenstiele, her um sie den gezeigten Protagonisten in den digitalen Hintern zu schieben? Ach und wo wir gerade bei Hintern sind …. Uns wird umgehend erklärt, dass wir „Archenjäger“ seien und wir Arche jagen würden … HALLO? Hat niemand an die Lokalisierung gedacht? Spätestens nachdem Mitsubishi den Geländewagen Pajero im spanischsprachigen Raum lieber unter dem Namen Montero auf den Markt bringt (Pajero: umgangssprachlich im Spanischen so viel wie „Wichser“) sollte man zumindest mal kurz überlegen, ob „Archejäger“ so wirklich genial ist, wenn die Käuferschicht hauptsächlich aus männlichen vorpubertierenden Jugendlichen besteht. Na wie auch immer.
Das Spielprinzip von Defiance ist so ermüdend wie bekannt, töte X und sammle Y. Da helfen auch „spontane“ Events nicht, die in Ihrer Spontaneität der Planetenbewegung unseres Sonnensystems in nichts nachstehen. Wer jeden morgen überrascht ist, daß die Sonne auch diesmal wieder scheint, der wird seine helle Freude am Defiance – Eventsystem haben. Und das sonnige Gemüt eines Gänseblümchens. Hey… ein Panzerwagen mit Zombies …. hab ich den nicht vor 2 Minuten schon beseitigt?
Überraschen konnte mich Defiance dann doch noch. Spätestens, wenn man das Menü aufruft, wird klar, wo die ganze Kreativität der Entwickler geblieben ist (zumindest nicht in der Gestaltung von Landschaft und Monstern. Diese könnte man problemlos auch als neues Rift – Addon verkaufen). Habt ihr schon einmal neongrüne Nasenklammern gesehen, welche, so man sie mit Wasser in Berührung bringt, die Paarungsrufe afrikanischer Feldhamster nachahmen? Nicht? Gut, denn die Erklärung ist einfach. Mag die Idee auch noch so kreativ sein, KEIN MENSCH BRAUCHT SIE! Und genau das Gefühl hatte ich bei der Menüführung von Defiance. Wer sich diese Menüführung ausgedacht hat, spielt doch abends in der Badewanne an sich herum und denkt dabei an die Adressierung von C# Pointern in Steuerberechnungsprogrammen.
Ihr merkt schon, Defiance ist nicht mein Spiel. Mehr zu schreiben lohnt auch nicht, in spätestens 3 Monaten ist es eh free2play und jeder kann sich selbst ein Bild machen.
Neverwinter online:
Ich mag D&D (Dungeons & Dragons), habe ich doch früher auch gern Pen-&-Paper-Rollenspiele gespielt. Da liegt es nah, sich das neue MMO von Cryptic mal ein wenig genauer anzuschauen. Ich gebe zu, ich war blauäugig. Ich hätte ahnen können, was auf mich zukommt, wenn ich ein Free2Play-Titel von Cryptic beginne. Schon mit Champions Online, Star Trek Online sowie mit City of Heroes/Villians hat Cryptic gezeigt, wie viel Geld man mit „kostenlosen“ Spielen erwirtschaften kann.
Aber ich muss gestehen, Cryptic macht seine Sache gut. Denn mit Neverwinter erwartet einen etwas Innovatives. Nicht weil es ein tolles neues Kampfsystem gibt, nicht weil die Welt so ausgefallen ist und nicht etwa, weil irgendetwas neu ist. Nein – eben genau weil nichts neu ist, fühlt man sich in die „gute“ alte Zeit zurückversetzt in denen man RPGs spielte. Alles wirkt vertraut, alles ist leicht erfaßbar und zugänglich. Neverwinter fühlt sich an wie ein paar alte Filzpantoffeln, wohlig warm und merkwürdig vertraut. Aber trägt man die Pantoffeln etwas länger, reißen die Nähte und kleine Nadeln bohren sich unaufhaltsam unter die Fußnägel.
Cryptic will Geld und das lässt man den Nutzer auch recht schnell spüren. Denn in Neverwinter kann man alles kaufen… und mit alles meine ich ALLES. Das Auktionshaus läuft über die spieleigene Stellvertreterwährung, Waffen, Rüstung, Inventarplätze, Schlüssel für gefundene Truhen und und und. All das kann man kaufen. Natürlich, die Entscheidung liegt bei mir. Ich kann alle Spielinhalte auch ohne Einsatz von Echtgeld erspielen …. und vielleicht will ich auch gar nichts kaufen. Aber spätestens wenn ich zum Umskillen genötigt werde, entweder drei Wochen täglich brav alle entsprechenden Quests zu erledigen oder für EINEN KLICK dann wirklich viel Cash auf die Theke zu legen, hört der Spaß dann doch auf.
Schade, denn eine geniale Idee hat Cryptic dann doch gehabt. Um nicht selber für immer neuen Content sorgen zu müssen und so ein teures Heer von Entwicklern zu bezahlen, veröffentlichte man einfach den Leveleditor und gab der Community die Möglichkeit, neue Inhalte zu erschaffen. Zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Mehr Content, weniger Kosten und jammern kann auch keiner, denn wer Inhalte fordert, möge sie sich doch bitte einfach selber bauen. Ich mag die Grundidee, scheint es doch ein sinnvoller Ausweg aus der immer gleichen Spirale von Spielern (die Inhalte wünschen) und Entwicklern (die diese nicht schnell genug produzieren können). Dafür gibt es einen dicken Daumen nach oben und ich hoffe, daß dieses Beispiel Schule machen wird.
Leider vermiest mir das wirklich turbokapitalistische „free2play“ Modell dieses Spiel nachhaltig. So gern ich auch eigene Inhalte erstellen möchte, so ungern möchte ich die wirklich dreiste Abzocke über den Itemshop unterstützen.
Wer ein nettes RPG für nebenbei sucht und nicht immer das Ultimum aus einen Spiel herausholen möchte, der kann sich Neverwinter aber einmal ansehen. Gute Hausmannskost kostenlos, nur frage den Kellner nicht nach dem Salz, denn das wird teuer.
Dragon’s Prophet:
Nachdem ich seitens des Publishers von Dragon’s Prophet eine beruflich bedingte Anfrage erhielt, hatte ich auch immer ein waches Auge auf dieses Projekt geworfen. Gut, das erste Projekt des Studios (Brick Force) hat mich nun echt nicht vom Hocker gehauen, auch wenn das Marketing wohl mit viel Geld die durchweg eher schlechten Kritiken der Spieler etwas abmildern konnte (anders lassen sich die 56 Punkte bei Metacritic nur schwer erklären). Aber darum soll es ja nicht gehen. Immerhin steht mit Runewalker ein durch „Runes of Magic“ erfahrener Entwickler hinter dem aktuellen MMO und auch Infernum als Publisher ist nicht unerfahren.
Ich bekam also die Möglichkeit, mir das neue Machwerk in der Beta-Phase anzuschauen. Und ja: ich kann lesen. BETA-PHASE. Aber etwas irritiert war ich dann schon. Superschöne Trailer machen uns bereits seit längerem den Mund wässrig und dann ….NPC´s in Zwischensequenzen, die beim Sprechen nicht einmal den Mund bewegen? Noch viel ernüchternder das zwischen Runes of Magic (Release: 2009) und Dragon’s Prophet (2013) wirklich vier Jahre grafischer Entwicklung stattgefunden haben, mag man kaum glauben, wenn man die Spielwelt betritt.
Aber die Grafik ist ja bekanntlich nicht immer ausschlaggebend. In Dragon’s Prophet geht es ja, wer hätte es erahnt, um Drachen. Also mache ich mich heldenhaft auf, mir eben jenen Drachen mal etwas genauer anzuschauen. Wer hier an den Leviathan des alten Testaments, an neunköpfige Hydras oder Fafnir denkt, bekommt schnell die Comicklatsche des Propheten zu spüren. Prompt entpuppen sich Drachen als niedliche (wenn auch erst einmal ungezogene) Kuscheltiere, welche ursprünglich wohl eher Hauptpreis beliebiger Vorstadtkirmesbuden gewesen wären, hätte Runewalker nicht alle für ihr Spiel aufgekauft. Eine Drachenzähmung war in der Literatur noch nie so simpel wie in diesem mäßigen Machwerk der aktuellen Popkultur. Gewinnt man die lebenslange Zuneigung doch durch ein kleines Minispiel, das selbst auf dem Smartphone normalerweise nur ein mildes Lächeln hervorrufen würde.
Und das soll nun Dreh- und Angelpunkt des ganzen MMO´s sein? Eine kreative und unverbrauchte Idee? Stimmt, welches andere MMO zwingt einen auch sonst dazu, sich mit dummen und hirnkranken Kampfbegleitern herumzuschlagen…. ach moment … JEDES! Nur daß man sich aussuchen kann, ob man diese Klasse wählen möchte! Faszinierend, da tackert man einfach eine normalerweise einzeln schon nervige Klassenmechanik an alle Klassen des Spiels und die Revolution ist perfekt.
Man kann mir nun sicher vorwerfen, ich hätte mich tiefer in die einzelnen Spiele hineinspielen müssen. Ich wäre voreingenommen und suche doch nur die Ecken und Kanten dieser doch so faszinierenden Spiele. Doch mein unqualifiziertes Urteil ist ein anderes.
Der Kuchen der MMO-Spieler scheint aufgeteilt. Es bedarf großer Entwicklungen oder Kreativität, um Neues zu erschaffen. Wer noch ein Stück ergattern will und diesen Aufwand scheut, der sucht sich ein passendes Bezahlmodell und versucht mit möglichst wenig Aufwand Kapital zu erwirtschaften. Frei nach dem Motto „So kreativ wie nötig, so wenig neu wie möglich“ als gemeinschaftliches Glaubensbekenntnis durchgesetzt zu haben. Gebt dem Marketing genug Futter für „Awesomeness“-News und stellt ein Spiel auf die Beine, das den Tellerrand des Einheitsbrei-Tellers nur erahnen kann.
Es mag wie verblendete Schwärmerei klingen, wenn ich auf Guild Wars 2 verweise. Doch trotz aller kleinen Macken schafft es eben jenes Spiel, einen eigenen, teilweise unangepassten neuen Weg zu gehen. Ob Guild Wars 2 damit auf Dauer fesseln kann, bleibt abzuwarten. Aber im Gegensatz zu allen in den letzten Wochen getesteten „Neulingen“ fesselte mich GW2 nun schon fast ein Jahr. Defiance hat es drei Tage geschafft, Neverwinter gut eine Woche und Dragon’s Prophet überlebte nicht einmal ein Wochenende.
Aus Frust installierte ich mir kürzlich wieder einmal Sacred2, sicher nicht das Kreativste auf dieser Erde und natürlich „alles nur geklaut!“. Doch „Schlagt ihr den Kopf ab, ich brauch n neuen Aschenbecher!“ habe ich vermißt.
Nun geht der Erzkanzler in die Sonne und schaltet den Monitor aus.
In diesem Sinne grüßt der Erzkanzler.
Letzte Worte